Fränkisches Freilandmuseum Fladungen

mit dem Rhön-Zügle

Objekt des Monats Juli 2022

Dienstfahrrad der Deutschen Bundesbahn

  • Inventarnummer: 35131
  • Dienstfahrrad, Präsentationszeit 1950er Jahre, Produktion vor 1945
  • Herkunft: Privatbesitz, Urspringen (Lk. Rhön-Grabfeld)
  • Material: Eisen, Gummi, Leder; geschweißt, lackiert, verchromt
  • Maße: 109 cm (Höhe) x 40 cm (Breite) x 192 cm (Tiefe)

Egal ob E-Bike, Roller oder Lastenfahrrad - Zweiräder erfreuen sich heute großer Beliebtheit. 1817 stellte der badische Forstbeamte Karl von Drais seine „Laufmaschine“ vor, den Vorgänger unserer heutigen Fahrräder mit Pedalantrieb. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich das Fahrrad zum ersten Massenverkehrsmittel aller Bevölkerungsschichten.

In den Beständen des Fränkischen Freilandmuseums Fladungen befindet sich ein außergewöhnliches Zweirad: Ein Dienstfahrrad der Deutschen Bundesbahn aus der Bahnmeisterei Mellrichstadt. Es gelangte im Jahr 2015 über einen eisenbahnbegeisterten Sammler aus der Region in die Museumsbestände.

Hersteller war die bekannte Nürnberger Firma „Hercules“, wie eine an der Frontseite des Steuerrohrs angebrachte Plakette verrät. Die Firma wurde 1886 vom jüdischen Unternehmer Carl Marschütz gegründet. Marschütz begeisterte sich schon als junger Mann für das damals neue „Veloziped“. Sein Unternehmen wuchs im ausgehenden 19. Jahrhundert rasant und produzierte im Jahr 1896 bereits 6.500 Fahrräder. 1905 bewarb die – nun als „Nürnberger Fahrradwerke Hercules“ firmierende – Fabrik Transporträder in verschiedenen Ausführungen, darunter auch Krankenbahren und Ambulanzwagen. Um ein solches Spezialfahrrad handelt es sich auch bei diesem Dienstrad der Deutschen Bundesbahn, das vor 1945 produziert wurde. Diese Vermutung stützt die hintere Radnabe. Es handelt sich um eine sogenannte „Torpedo-Nabe“ des Schweinfurter Wälzlagerproduzenten Fichtel & Sachs. Diese ist mit einem sogenannten Jubiläumsstempel auf der Nabenhülse gemarkt; er besagt: „Jubiläum 50 Millionen 1904-1940“ und bezieht sich auf die hergestellten Stückzahlen der Nabe. Der Stempel war von 1941 bis 1943 und 1945 in Verwendung.

Der massive schwere Eisenrahmen ist schwarz lackiert. Der eingesetzte Lenker ist nach oben und zugleich nach hinten gebogen. Er erinnert an ein Hollandrad. Zwei schwarz-weiß marmorierte Gummischutzgriffe überziehen die Rohrenden. Interessant ist die verchromte Klingel, deren Schlägel leider fehlt. Sie stammt laut umlaufender Bezeichnung von der dänischen Firma „J. P. Pedersen Ugerløse Tlf. Aarby 193“. Wobei die Abkürzung „Tlf.“ für Telefon steht, d. h. der einstige Anschluss Nummer 193 in der Ortschaft Årby bei Kalundborg auf der dänischen Insel Seeland. Die einfache Bremse wirkt direkt auf das Vorderrad. Mittels eines Bremshebels wird ein Gummiklotz direkt auf die Lauffläche des Reifens gedrückt. Dieser Bremsentyp heißt deshalb auch „Stempel-“ oder „Klotzbremse“. Zusätzlich besitzt das Rad auch eine Rücktrittbremse. Für einen gewissen Komfort sorgte der braune Ledersattel mit zwei verchromten Federn und dem Herstellerschild „Rappold“. Das Fahrrad ist außerdem mit Beleuchtung ausgestattet: Der große Frontscheinwerfer trägt das Markenzeichen „Impex“ der Süddeutschen Metallwerke GmbH in Walldorf/Baden. Die rote Rückleuchte ist zusätzlich mit einem Reflektor ausgerüstet. Der zur Stromerzeugung notwendige Dynamo fehlt jedoch. Zur besseren Sichtbarkeit in der Dunkelheit besitzen die beiden Pedale nachleuchtende gelbe bzw. weiße Reflektoren. Der robuste Gepäckträger, der zusätzlich mit einer Flügelschraube am Rahmen fixiert ist, ermöglichte die Mitnahme von Lasten oder Werkzeug. 

Mit der Bahnreform 1994 wurde die Infrastruktur in der Fläche zunehmend zurück gebaut. Bahnhöfe, Güteranlagen und Werkstätten geschlossen. 1995 wurde die Bahnmeisterei in Mellrichstadt geräumt, dabei fand man im dortigen Keller das besondere Zweirad.

Bahnmeister, auch Bahnaufseher oder Oberbahnwärter genannt, waren Bedienstete der Eisenbahn, die für die technische Überwachung der Strecke und der Bahnanlagen in ihrem Bezirk zuständig waren. Sie führten entsprechende Unterhaltsarbeiten am Oberbau mit Schienen und Schwellen aus. Die Inspektionsarbeiten konnten je nach Ausstattung der jeweiligen Bahnmeisterei mit einer Draisine, motorisierten Fahrzeugen, zu Fuß, dazu gab es den eigenen Beruf des „Streckengehers“, oder auch mit dem Fahrrad bewerkstelligt werden. Bedauerlicherweise ist nicht überliefert, wer das Mellrichstädter Dienstrad zuletzt verwendete.

Seit 2016 steht das Zweirad in der Präsentation zur Geschichte der Streutalbahn im Erdgeschoss des Bahnhofsgebäudes Fladungen. Dort kann das interessante Exponat der regionalen Verkehrsgeschichte während der Öffnungszeiten der Museumsverwaltung besichtigt werden.