Fränkisches Freilandmuseum Fladungen

mit dem Rhön-Zügle

Objekt des Monats Januar 2023

Schlitten aus Dipperz

  • Inventarnummer: 20688
  • Davoser Schlitten, 1947
  • Herkunft: Anna Schmied, Dipperz (Lkr. Fulda)
  • Material: Holz (Esche, Rotbuche), Eisen, Hanf; gesägt, geschliffen, gezapft, genagelt, geschraubt, gedreht
  • Maße: 134 cm (Länge) x 29 cm (Breite) x 30 cm (Höhe)

In einem schneereichen Januar erschallt oft herzliches Kinderlachen in den Rhöner Tälern. Schnee und Eis sorgen für besonderen Spielspaß. An den steilen Hängen lässt es sich ausgesprochen gut rodeln. Seit Jahrzehnten begeistern flotte Rodelpartien Kinder und Erwachsene. Passend zum Wintermonat Januar ist ein Holzschlitten mit ganz besonderer Geschichte unser neues Objekt des Monats.

1947, also in den unmittelbaren Nachkriegsjahren, fertigte Wilhelm Schmied unser Kufenfahrzeug für seine Kinder. Der Tischler orientierte sich beim Bau am sogenannten „Davoser Typ“: Der Schlitten besteht aus einer besonders stabilen Holzkonstruktion. Dabei verwendete Wilhelm Schmied für den Unterbau Eschenholz, für die Sitzfläche Latten aus Rotbuche.  Esche ist nicht nur besonders stabil und belastbar, sondern lässt sich mit heißem Wasser auch sehr gut biegen. Diesen Vorteil nutzte auch Wilhelm Schmied. Er legte die beiden Kufen für einige Stunden in ein Wasserbad, um das Holz aufzuweichen. Anschließend bog er es und fixierte die Teile mit Schraubzwingen in gewünschter Form. Nach dem Trocknen behielten sie ihre Biegung. Die Kufen verband der Tischler mit jeweils drei Streben, den sogenannten Böcken. Dazu legte er die Kufen parallel aus und zapfte auf die gegenüberliegenden Bockpaare eine Querleiste, um die beiden Einzelteile zu verbinden. Abschließend schraubte Wilhelm Schmied auf die Querleisten fünf Rotbuchen-Latten als Sitzfläche. Die beiden äußeren Latten sind länger und am vorderen Ende mit den gebogenen Kufen verzapft. Einige Eisenteile aus der ehemaligen Schmiede Ditzel in Dipperz komplettieren die Konstruktion: Das zwischen den beiden äußeren Sitzflächenlatten angenagelte Zugeisen sowie Rundeisenstäbe an den vorderen und hinteren Böcken verstärken die Queraussteifung zusätzlich. Außerdem ist an jede Kufenunterseite ein Eisenbeschlag geschraubt, damit der Schlitten auf Schnee und Eis besser gleitet. Außergewöhnlich ist vor allem die Fixierung der Zugschnur: Normalerweise ist diese mittig an der Vertiefung des Zugeisens angebracht. Wilhelm Schmied montierte aber am gebogenen Ende der Kufen je eine Eisenöse und befestigte daran mit Eisenstiften eine Hanfschnur.

Den Schlitten baute der geschickte Tischler in seiner neuen Heimat komplett selbst. Ursprünglich stammte Wilhelm Schmied aus Bensen (Kreis Tetschen) im Sudetenland (heute Tschechien). Als Heimatvertriebener kam er im Sommer 1946 nach Hessen. Zusammen mit seiner Familie ließ er sich in Dipperz (Lkr. Fulda) nieder. Mit dem Schlitten ermöglichte er seinen beiden Kindern am „Tor zur Rhön“ einen besonderen Spielspaß im Winter.

Doch ursprünglich dienten Schlitten nicht unbedingt dem Vergnügen. Als Transportmittel nutzten ihn schon die Menschen der Vorgeschichte, um Waren von einem Ort zum anderen zu bringen. Mit dieser Funktion wurde er auch über Jahrhunderte weiterentwickelt und perfektioniert. Im 17. Jahrhundert waren Schlitten etwa in den Alpenländern kaum mehr wegzudenken. Sie wurden im Winter wie auch im Sommer genutzt, um die schweren Lasten von den Berges höhen in die Täler zu transportieren. Im Laufe der Zeit entstanden unterschiedliche Typen Lastschlitten für Zugtiere und auch Menschen.

Früheste Belege für Kinderschlitten datieren ins 16. Jahrhundert. Doch erst mit dem Beginn des Schlittensports im 19. Jahrhunderts wurde auch der klassische Rodelschlitten entwickelt. Wintersportbegeisterte konstruierten den besonders stabilen und langlebigen sogenannten Davoser Schlitten. Das Modell ist nach dem berühmten Kurort Davos in Graubünden benannt, wo dieser Schlittentyp 1883 zum ersten Mal bei einem Rennen Verwendung fand. Der Rodelsport entwickelte sich rasant weiter. Stetig kommen neue Hightech-Geräte auf den Markt. Doch der traditionelle Davoser Schlitten trotzt den modernen Flitzern: Nicht nur in der Rhön sorgt dieser Rodelschlitten noch immer für flotte Abfahrten und Wintervergnügen.