Fränkisches Freilandmuseum Fladungen

mit dem Rhön-Zügle

Objekt des Monats Juni 2023

Konstatieruhren aus Brendlorenzen

  • Inventarnummern: 35227, 35228
  • Konstatieruhren, um 1920
  • Herkunft: Privatbesitz, Brendlorenzen (Lkr. Rhön-Grabfeld)
  • Material: Holz, Eisen, Messing, Glas, Papier, Leder; gesägt, geleimt, gesteckt, geschraubt, genietet, geschnitten
  • Maße: 20,5 cm (Länge) x 16,5 cm (Breite) x 18,5 cm (Höhe)

Unsere aktuelle Sonderausstellung „Tierisch nützlich – Der Mensch und sein Vieh“ betrachtet unterschiedliche Aspekte der Nutztierhaltung. Die Besucher*innen haben den Wunsch geäußert, mehr zu Tauben zu erfahren. Deshalb werfen wir mit unserem neuen Objekt des Monats, zwei Konstatieruhren, einen Blick auf dieses besondere gefiederte Nutztier.

Die Mensch-Tier-Beziehung zur Taube nahm 5.000 v. Chr. ihren Ausgangspunkt im Vorderen Orient. Angelockt vom Getreideanbau suchten Felsentauben die Nähe zu menschlichen Siedlungen. Seit der Antike hielt man domestizierte Haustauben als schmackhafte Fleischlieferanten und wegen des Taubenkots – ein geschätzter Dünger. Haustauben eignen sich aber auch als Nachrichtenüberbringer: Die Vögel können bis zu 160 km/h schnell fliegen, besitzen eine außergewöhnlich gute Orientierung und kehren immer in ihren heimischen Schlag zurück.

Die Brieftaube ist eine speziell zur Nachrichtenbeförderung gezüchtete Haustaube, deren Ursprung ebenfalls im Orient lag. In Europa trat sie erst ab dem 16. Jahrhundert und meist in kriegerischen Zusammenhängen in Erscheinung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts nutzten Bankhäuser sogenannte „Kurstauben“, um tagesaktuelle Wechselkurse auszutauschen. Zeitungsredaktionen setzten die schnellen Vögel bis zum Durchbruch der Telegrafie in den 1850er Jahren zur Übermittelung von Neuigkeiten ein. Gleichzeitig gewann die in Vereinen organisierte Brieftaubenzucht an Bedeutung. 1834 erfolgte die erste deutsche Gründung in Aachen. Bis in die 1880er Jahre stieg die Zahl der Taubenzuchtvereine und deren Mitglieder stark an.

Die Vereine organisierten Wettbewerbe, Ausstellungen, Märkte oder Tauschbörsen. Bei Wettflügen konkurrierten die Mitglieder um den schnellsten Vogel. Für die „Rennpferde des kleinen Mannes“ verwendete man zunächst Flügelstempel, um die Teilnahme einer Brieftaube an einem Wettbewerb zu kennzeichnen. Nach der Rückkehr in den heimischen Schlag brachte man die Taube ins Vereinsheim und ermittelte unter Berücksichtigung von Zeitgutschriften die eigentliche Flugdauer. Um die Zeitmessung zu vereinfachen, kamen 1885 in Belgien, den Niederlanden und Großbritannien erste Taubenuhren auf den Markt. In Deutschland waren diese Zeitmessgeräte ab 1900 vermehrt im Einsatz.

Vor jedem Wettbewerb wurden die Konstatierapparate nach einer „Mutteruhr“ gestellt und verplombt an die Teilnehmer ausgegeben. Jeder Vogel erhielt außerdem einen nummerierten Ring. Sofort nach der Rückkehr der Taube in den Schlag nahm der Züchter den Ring ab und steckte ihn durch die entsprechende Öffnung in die Konstatieruhr. Das Uhrwerk vermerkte sofort die exakte Ankunftszeit auf einem Papierstreifen.

Die beiden Fladungener Uhren besitzen ein Holzgehäuse. Darin sind eine Konstatiertrommel, ein Stempel- sowie ein Uhrwerk verbaut. Auf dem Deckel finden sich mit den Zahlen „1-15“ und „16-30“ gravierte Klappen, die sogenannten „Konstatieröffnungen“. Die Uhren können also die Flugzeiten von 30 Tauben registrieren. Im rechten unteren Eck sitzt ein Vierkantdorn, mittig ist ein lederner Tragegriff angenietet. Die Namen der ehemaligen Besitzer sind jeweils mit schwarzer Farbe aufgeschrieben. Vorderseitig dient ein Riegel zum Öffnen des Deckels. Darunter kann durch eine Glasscheibe die Stellung der Papierrolle kontrolliert werden. An der linken Seite ist das Ziffernblatt installiert. Die große Uhrenskala zeigt wie gewöhnlich Stunden und Minuten an. Der Stundenzeiger wird mit einem kleinen Vierkantschlüssel aufgezogen und der Minutenzeiger händisch eingestellt. Zwischen sieben und acht Uhr befindet sich eine Tagesanzeige, mit der Messungen von Flugdauern bis zu einer Woche möglich sind. Auf der rechten Seite zwischen drei und vier Uhr gibt es eine weitere Skala mit den Zahlen „0, 15, 30 und 45“. Anders als bei den beiden vorherigen zeigt sie allerdings keine Zeiteinheiten an, sondern wahrscheinlich ob und wie lange die Unruhe in der Uhr geprellt hat. So werden Manipulationen durch Anhalten sichtbar.

In Deutschland gilt die Firma Benzing als einer der ersten Hersteller von Konstatierapparaten. Friedrich Benzing eröffnete 1845 in Schwenningen eine Uhrenwerkstatt. Ab 1897 nahm Benzing Taubenkonstatieruhren in sein Sortiment auf. Die vorliegenden Modelle wurden von etwa 1910 bis in die 1960er Jahre nahezu baugleich produziert.

Die neuen Apparate revolutionierten den Brieftaubensport und ermöglichten einen fairen Wettbewerb. Das System war manipulationssicher und einfach in der praktischen Anwendung. Heutzutage garantieren elektronische Systeme eine exakte Zeitmessung.